Ein antikes Gleichnis, das unsere Gegenwart entlarvt
Zwei Schiffbrüchige, ein Brett. Nur einer kann überleben.
Der eine klammert sich daran, der andere schwimmt heran und weiß: Wenn er das Brett nicht bekommt, geht er unter.
Wer darf leben?
Wer muss sterben?
Und darf man den anderen stoßen, um selbst zu überleben?
Diese Frage stellte der griechische Philosoph Karneades von Kyrene im 2. Jahrhundert vor Christus.
Er wollte wissen, wie sich unsere Moral verhält, wenn das Leben selbst auf dem Spiel steht.
Das sogenannte „Brett des Karneades“ wurde später von Denkern wie Cicero aufgegriffen und ist bis heute ein fester Bestandteil in der Ethik und Rechtsphilosophie.
Es ist ein Sinnbild für Situationen, in denen zwei Menschen um dasselbe kämpfen – nicht aus Gier, sondern aus existenzieller Not.
Und genau hier beginnt der Brückenschlag in unsere Zeit.
Wenn das Brett Wahrheit heißt
Wer sexualisierte Gewalt erlebt, kämpft nicht nur um das Überleben des Körpers, sondern um das Überleben der eigenen Wahrheit.
Das Wort wird zum letzten Halt, zum Brett, das trägt – wenn alles andere zerbrochen ist.
Doch sobald ein Opfer spricht, beginnt der Kampf um dieses Brett erneut.
Auch der Täter greift danach – nach Glaubwürdigkeit, nach seinem Ansehen, nach der Kontrolle über die Erzählung.
Und die Gesellschaft steht daneben und entscheidet, wessen Wahrheit sie glaubt.
Viel zu oft fällt die Wahl auf den, der lauter, mächtiger, überzeugender wirkt.
Das Opfer wird fallen gelassen – nicht, weil es lügt, sondern weil seine Wahrheit unbequem ist.
Warum so viele lieber dem Täter glauben
Die Unterstellung, Opfer würden lügen, ist kein Beweis für Rationalität.
Sie ist ein psychologischer Selbstschutz.
Denn zu glauben, dass Täter Täter sind, erschüttert das Fundament, auf dem viele ihr Weltbild gebaut haben:
die Illusion von Sicherheit, Kontrolle und moralischer Ordnung.
„Sie lügt“ bedeutet: Ich muss meine Welt nicht neu ordnen.
„Er ist unschuldig“ bedeutet: Ich darf glauben, dass das Böse nur woanders existiert.
Diese Mechanismen schützen nicht das Opfer – sie schützen das System.
Und während sich die Gesellschaft an die Lüge klammert, geht die Wahrheit unter.
Wenn Wahrheit nur Platz für einen hat
Das Brett des Karneades zeigt: Wenn Überleben nur möglich ist, indem jemand anderes untergeht, verlieren am Ende beide.
Übertragen auf heute:
Wenn unsere Gesellschaft nur Platz für eine Wahrheit hat – die des Täters, der Institution oder der Bequemlichkeit –, dann ertrinkt Menschlichkeit.
Wahrheit braucht Raum.
Sie braucht den Mut, hinzuhören, auch wenn es weh tut.
Sie braucht Strukturen, die nicht reflexartig zweifeln, sondern schützen.
Und sie braucht Menschen, die bereit sind, das Brett zu teilen – selbst wenn das bedeutet, das eigene Weltbild zu hinterfragen.
Was wir daraus lernen können
Das Brett des Karneades ist keine antike Anekdote.
Es ist ein Spiegel.
Ein Prüfstein für unsere moralische Reife als Gesellschaft.
Denn Ethik wird nicht in Lehrbüchern entschieden, sondern in den Momenten, in denen wir anderen zuhören.
In Kommentaren, in Gerichtssälen, in Gesprächen über Menschen, die Gewalt erlebt haben.
In der Frage: Wem glaube ich – und warum?
Wahrheit ist kein Nullsummenspiel.
Wenn wir beginnen, dem Schmerz anderer Glauben zu schenken, geht niemand unter.
Dann wird das Brett breit genug für alle.
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Lass dich nicht von der Angst oder vom Zweifel anderer von deinem Brett stoßen.
Deine Wahrheit zählt.
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