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Liat Elkayam – Aber die Nacht ist noch jung

Im September 2020 erschien im Verlag Antje Kunstmann „Aber die Nacht ist noch jung“ von Liat Elkayam. Die Autorin war mir bis dahin unbekannt, sie war Redakteurin der Literaturbeilage der Haaretz (Israelische Tageszeitung) und schreibt heute eine Kolumne für diese. „Aber die Nacht ist noch jung“ erhielt 2019 den Preis des israelischen Kultusministeriums für das beste Debüt, wie ich finde: zurecht. Warum? Weil dieses Buch eine Überraschung ist.

Drei Teile und ein Lippenstift

Flitter – der erste Teil unseres Einblicks in das Leben einer jungen Frau die gerade geheiratet hat. Prägnant ist gleich der erste Satz „Sie war überglücklich, dass sie die Hochzeit hinter sich hatte“. Der Blick den Elkayam auf das frisch verheiratete Paar wirft ist überraschend ungeschönt. Seltsam distanziert ist die Frau, gegenüber ihrem Körper, ihrer Hochzeit und ihrem Mann. Generell herrscht in diesem Kapitel eine seltsame Stimmung, keine Romantik und wenn dann sehr verquer. Es ist, als würde man hier ein Tagebuch lesen, eine Erinnerung an eigene Erlebnisse. Es ist dieser Kampf mit uns selbst, unseren Körpern, diesen Unzulänglichkeiten in Form von Pickeln, schmerzenden Riemchenschuhen oder kontrolliertem Alkoholkonsum. Sie heiratet einen Schönling (der genau das auch weiss) und dies wahrscheinlich aus wenig romantischen Gründen. Alles in diesem Kapitel ist geprägt von Konflikten, von Sehnsüchten und Distanz.

Die Säuger-Maschine – der zweite Teil und einen Schritt weiter: Schwangerschaft und Geburt. Aber auch hier läuft es wenig romantisch. Die Tochter kommt per Kaiserschnitt als Frühchen auf die Welt, die Protagonistin kommt mit den Veränderungen ihres Körpers nicht zurecht und fühlt sich jetzt erst recht nicht wohl in ihm. Und da ist sie wieder: diese Distanz, dieser immerwährende Kampf mit sich selbst und dem Scheitern an sich selbst. Der Ausweg scheint einerseits dieses undefinierbare Mutterglück zu sein und die Arbeit. Zwischen Gedankenfetzen auf Krankenhausfluren, dem Mysterium des Stillens und der vermeintlichen Erfüllung im Job steht unsere Protagonistin stets zwischen den Stühlen. Diesen – weiblichen – Konflikt trägt sie munter weiter aus, mal mehr, mal weniger gut. Die Distanz die die Figur verspürt kann ich als Leserin nachfühlen. Diese seltsame Tristesse zwischen den Zeilen, dieses muntere ausloten von Möglichkeiten und das Spiel mit der Kritik, all das trifft den Nerv der Weiblichkeit.

Club Love Limbo – Überraschung!  „Eine grüne Pille in deiner Hand. Los, wirf sie ein“ so startet der dritte Teil des Buches. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder man liest dort weiter wo man die Pille einwirft oder man liest dort weiter wo man die Pille nicht einwirft. Verbunden mit dieser Wahl ist auch ein Perspektivwechsel der Protagonistin. Das Ich, eher rational und kühl. Das Du, eher emotional. Ab hier geht die Reise so weiter wie der Leser es entscheidet. Dieser dritte Teil ist eine Überraschung und erklärt auch warum die ersten beiden Teile so distanziert und zerrissen waren. Ab hier wird es spannend und es ist, als würde man ein anderes Buch lesen. Aber so ist es im Leben: Eine Achterbahnfahrt.

Weiblichkeit als Kampf

Die Nacht ist noch jung ist schon allein deshalb lesenswert weil es einfach auf den Punkt ist: Ohne ChiChi, ohne Romantik und ungeschönt. Ja, manchmal geht genau das im eigenen Kopf vor. Dieser Disput mit dem eigenen Körper und die Frage was man da eigentlich macht und warum? Und ja: Beziehungen sind häufig genau so und nicht wie erhofft triefend vor Romantik. Diese Fetzen der Gedankenkarusselle in denen man als Frau häufig schlicht festhängt hat Liat Elkayam in einen Roman gepackt. Dazu kommt noch der überraschende Wechsel im dritten Teil des Buches, der schon fast interaktiv anmutet. Man ist zwangsläufig in der Geschichte drin und die in den ersten beiden Teilen geübte Distanz ist plötzlich eine ungeahnte Nähe: Zur Protagonistin und auch sich selbst.

Lesenswert, auch mehrfach. Ich habe es inzwischen zweimal gelesen und fand es beim zweiten Lesen noch besser.

Liat Elkayam 

Aber die Nacht ist noch jung

Verlag Antje Kunstmann

ISBN  978-3-95614-383-0

 

Über die Autorin

Die Stehauffrau bloggt über das Leben nach toxischen Beziehungen, die schönen Dinge des Lebens und den Weg dorthin. Stehauffrau steht für eine Frau die den Weg vom Opfer zur selbstbestimmten Frau gegangen ist.

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