Meine Therapeutin hat mich einmal gefragt:
„Wer bist du?“
Ich habe automatisch geantwortet wie ich heisse, wann ich geboren bin und wo ich lebe. Sie antwortete:
„Das war nicht meine Frage.“
Ich war überfordert. So eine eigentlich simple Frage und dann sitzt man da und ist total verwirrt. Aber das ist nicht verwunderlich und nichts, wofür man sich schämen müsste. Es hat nichts mit Unwissenheit zu tun, nichts mit dem Unvermögen die Frage zu erfassen, es hat mit der Prägung zu tun. In meinem Fall die Prägung der letzten Jahrzehnte.
Selbstliebe – Sich selbst kennenlernen
Ich wuchs auf mit der Anforderung mich anzupassen. So zu sein, wie mein Gegenüber mich haben wollte. Es gab in meiner Kindheit keinen Raum für Persönlichkeitsentwicklung, weil ich immer „funktioniert“ habe. In meiner späteren Ehe lief es genauso. Ich war einfach so, wie die jeweiligen Akteure mich haben wollten. Denn es galt: Ist das Gegenüber, die Bezugsperson zufrieden, bist du es auch. Ganz einfach.
Die Konsequenz ist aber auch, eine simple Frage wie „Wer bist Du?“ nicht beantworten zu können, weil eben niemand da ist der einem sagt wer man ist. Also war die Aufgabe mich kennenzulernen. Diese Reise hat mit vielen Aspekten zu tun, allen voran die Selbstliebe. Und ja, das ist schwierig. Weil man ja irgendwie im Nirvana rumrennt und alles so unkonkret ist. Und ja, es dauert bis man sich selbst gefunden hat. Aber eines weiss ich ganz sicher: Bist du angekommen fühlt es sich verdammt gut an.
Selbstliebe – Was soll denn das sein?
Ich habe eigentlich nie gelernt mich selbst zu lieben. Weil ich von außen stets suggeriert bekam ich wäre zu dünn, zu dick, zu klein, zu hässlich, zu unscheinbar, zu auffällig, zu lebhaft, zu ruhig und so weiter und so weiter. Es gab nie einen Menschen der mich so angenommen hat wie ich in dieser Situation war. Es gab immer Verbesserungsbedarf, Optimierungspotential und Notwendigkeiten. Meinen Körper konnte ich aufgrund jahrelangen BodyShamings nicht im entferntesten annehmen. Er war nie mein Zuhause, weil er immer kritisiert wurde. Wie hätte ich denn meinen Körper lieben können bei all den angeblichen Defiziten?
Heute fühle ich mich wohl in meiner Haut, meinem Zuhause. Meinen Körper habe ich angenommen und lieben gelernt. Natürlich gefällt mir nicht alles, aber es ist MEIN Körper. Und niemand anderer lebt in ihm, nur ich. So hat auch niemand anderer das Recht ihn zu kritisieren. So sehe ich das inzwischen. Ich mag meine X-Beine, den kleinen Bauch und die Sommersprossen. Sie gehören zu mir.
DU bist wertvoll
Als ich auf die Reise ging nach mir selbst, horchte ich in tiefe Stille. Meine Seele war schwarz, wie ein nicht enden wollender Nebel. Ich hatte den Mut mich dem zu stellen, zu suchen und zu finden, wollte unbedingt an mir arbeiten, mich finden und endlich dieses Gefühl für mich haben. Ich fing langsam an, in der Therapie ging es zunächst darum Kontakt zum inneren Kind aufzunehmen. Innerhalb der Traumarückführung stieg ich in Erinnerungen ein, fühlte nach und ergründete mit meiner Therapeutin was das Kind damals gebraucht hätte. Ich habe innerlich lange Selbstgespräche geführt und ergründet was ich als Kind gebraucht hätte, was ich mir gewünscht hätte. In diesen Sitzungen habe ich sehr viel über mich gelernt, habe verstanden warum ich irgendwann nur noch funktioniert habe.
Wenn du den Kontakt zu deinem inneren Kind hast, dann halte ihn aufrecht. Das tut manchmal weh, es ist manchmal schwer, aber es hilft Dir für jeden weiteren Schritt. Du selbst bist verantwortlich für DICH, niemand anderer. Und nur DU kannst Dich retten. Dies zu verstehen ist wichtig. Unabhängigkeit nach jahrelanger Abhängigkeit muss gelernt werden. Dazu gehört auch, zu wissen wer man ist und wo die Grenzen sind.
Gründe, Lösungen und Licht
Ich verstand innerhalb dieser Aufarbeitung warum ich jahrelang in emotionaler Abhängigkeit verbracht habe: Ich habe nie gelernt unabhängig zu sein, weil niemand es mir zugestanden hat. In meiner Prägung war ich zwar immer für alles schlechte verantwortlich, aber ich hatte nie gelernt etwas „richtig“ zu machen. Es ist ein Teufelskreis und aus diesem muss man ausbrechen. Wenn du Wünsche hast, dann setz sie um. Das hat mit Mut zu tun. Seit mutig und mach es einfach. Ich habe viele Dinge einfach gemacht, sie einfach erlebt und das tat unglaublich gut. Es können Kleinigkeiten sein, wie z.B. das Färben der Haare, ein neues Outfit oder eine Wand Pink streichen. Das ist viel wert, denn du hast es umgesetzt.
Im Laufe der vielen Sitzungen habe ich gelernt, dass ich wertvoll bin. Und ich bin genauso „richtig“ wie ich bin. Ich muss mich nicht anpassen um geliebt zu werden, denn auch ich habe es verdient ohne Forderung geliebt zu werden. Wenn ich entscheide etwas nicht zu wollen, so ist das zu akzeptieren. Inzwischen lasse ich Grenzüberschreitungen nicht mehr zu. Ich kenne meine Grenzen und ich weiss sehr genau was ich nicht möchte. Wenn ich mich mit etwas nicht wohl fühle, versuche ich entweder es so zu richten dass ich mich wohlfühle oder ich lasse es. Wenn ich einen Menschen nicht sympatisch finde, lasse ich ihn nicht an mich heran.
Versuche deinen Körper als das zu sehen, was er ist: Das Haus deiner Seele. Nach meiner „Befreiung“ bin ich körperlich aufgeblüht. Erstaunlich wie sehr emotionale Gewalt einen Körper beeinflusst. Ich habe meinen Körper angenommen und pflege das Haus meiner Seele und meines inneren Kindes. Dafür habe ich einiges ausprobiert, über Meditieren bis hin zu Yoga. Da bin ich auch hängen geblieben, ich mache regelmäßig Yoga und fühle mich damit richtig gut.
Parallel dazu habe ich mir ein Büchlein angelegt mit all den Dingen, die ich gerne machen möchte. Das sind kleine und große Dinge, manches ist materiell, vieles sind Erfahrungen, Begegnungen und immaterielle Dinge. Aber jedes davon werde ich machen, irgendwann. Einiges ist hier auch auf dem Blog schon zu finden, anderes wird folgen.
Geholfen hat mir unter anderem auch ein Buch: Das Kind in Dir muss Heimat finden von Stefanie Stahl und das dazu passende Arbeitsbuch. Es ist eine sehr persönliche Sache und es erfordert Ehrlichkeit gegenüber Dir selbst, aber es lohnt sich!