Seelenhaus

Sind True Crime Formate Täterglorifizierung?

Denkmäler In den letzten Jahren haben True Crime Formate einen unglaublichen Aufstieg hingelegt. Inzwischen gibt es sie in allen Varianten und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es gibt sogar TV-Sender bei denen nichts anderes läuft. True Crime an jeder Ecke. Die große Portion Adrenalin im heimischen Wohnzimmer. Dann kann man in aller Sicherheit staunend konsumieren was Menschen anderen Menschen antun. Umso blutrünstiger, umso besser. Auch ich gucke gelegentlich solche Formate, höre einen Podcast und versuche eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ zu finden (utopisch, ich weiss), die Antwort auf die Frage was in einem Menschen vorgeht wenn er sich entscheidet die Grenze der Unverletzlichkeit eines anderen Menschen zu überschreiten. Und dabei kam mir kürzlich folgendes in den Sinn:

Sind True Crime Formate Täterglorifizierung?

Die meisten Formate haben eines gemeinsam: Es geht immer und ständig um den Täter. Wo kommt er her? Was ist ihm in seiner Kindheit passiert? Was hat er zur Tatvorbereitung getan? Wie beschreiben ihn andere Menschen? Wie hat er gelebt? Und so weiter und so weiter. Am Rande werden die Opfer beschrieben, kurz und knackig, manchmal sogar mit versteckten Vorwürfen. Während der Täter genaustens analysiert wird und viele „Experten“ ihren Eindruck zum Besten geben, verschwinden die Opfer hinter einer Tat. Sie wurden getötet und verblassen langsam aber sicher. Hin und wieder werden Angehörige interviewt, aber dann steht wieder der Täter im Vordergrund.

Natürlich ist es wichtig zu erfragen warum etwas geschieht. Es ist leichter mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen, wenn es einen Grund gibt. Der muss nicht einmal nachvollziehbar sein, es muss nur einen geben und sei er noch so trivial. Besonders bestialische Täter haben lediglich den Grund ihr Verlangen zu stillen, Macht auszuüben oder einfach die Lust dazu. Und die Opfer? Was ist mit denen? Die Getöteten sind bald nur noch blasse Erinnerung, so wie ein altes Foto irgendwann verbleicht. Man vergisst wie sich die Stimme angehört hat, der Geruch des verlorenen Menschen verfliegt irgendwann und dann bleiben Erinnerungen die im Alltag alsbald untergehen. Für einige Opfer gibt es kleine Gedenktafeln, Gräber mit Blumenschmuck. Aber die Täter setzen sich Denkmäler. Es gibt ganze Touren die sich mit den Orten von Verbrechen befassen und die Täternamen sind vielen Menschen bekannt. Die Namen der Opfer hingegen sind Schall und Rauch.

Überlebende müssen kämpfen – Täter werden resozialisiert

Wenn die Opfer zu Überlebenden werden kämpfen sie erfahrungsgemäß ein Leben lang mit den Folgen der Taten. Sie sind auf Hilfe angewiesen und stehen vor kilometerlangen Wartelisten bei Psychologen, Therapeuten und in Kliniken. Nicht wenige werden eine Zeitlang arbeitsunfähig und kämpfen dann noch um ihre Existenzgrundlage. Ein Opfer was durch die Tat traumatisiert wurde und PTBS, Depressionen und/oder andere Psychische Störungen mit sich herumschleppt, muss oftmals vor Ärzten kämpfen um ernst genommen zu werden. Manchmal muss der Täter eine Entschädigung zahlen, fragt sich nur was genau die bewirken soll. Die Kosten für Therapie, Ärztliche Behandlung und Co. dürften die meisten Schadensersatzzahlungen nicht einmal zur Hälfte decken. Für Opfer ist nicht selten die Lebensgrundlage weg, das bisherige Lebensumfeld nicht mehr tragbar und das tägliche Leben nicht mehr machbar.

Täter werden im Besten Falle inhaftiert. In Justizvollzugsanstalten sind sie „gut“ aufgehoben, es gibt Therapieangebote, es gibt Psychologen, Ärzte, Arbeit. Während der Täter die Gitterstäbe vor sich sieht, fühlt ein Opfer jene Gitterstäbe wie eine tonnenschwere Last auf den Schultern. Täter werden häufig resozialisiert, zurück in die Gesellschaft. Besonders schlimme Täter werden in die Sicherheitsverwahrung gesteckt. Eine Zelle, ein Bett, ggf. TV, regelmäßige Mahlzeiten, Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung, Möglichkeiten sich beruflich weiterzubilden oder einen Beruf zu lernen. Ein geregelter, abgesicherter Tagesablauf. Nicht selten erhalten Täter noch Fanpost, soziale Kontakte sind wichtig (Ironie aus). Sie werden interviewt, es werden Bücher über sie geschrieben, sie werden gehört. Manch einem Täter dürfte „seine“ Podcast-Folge richtig gut gefallen, von den unzähligen Dokus mal abgesehen.

Denkmäler für die Falschen?

Nicht alle True Crime Formate sind so Täterbezogen, es gibt auch einige wenige die sich mit den Opfern auseinandersetzen. Ich verstehe warum die Formate konsumiert werden, es ist der Kick das Unfassbare zu sehen. Ich würde mir nur wünschen, dass die Schreiber der Formate darüber nachdenken wem sie da ein Denkmal setzen. Täter haben es leicht in dieser Gesellschaft, in dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten – ein Rechtssatz der unumstößlich verankert ist. Für Opfer gilt er nicht.

Über die Autorin

Die Stehauffrau bloggt über das Leben nach toxischen Beziehungen, die schönen Dinge des Lebens und den Weg dorthin. Stehauffrau steht für eine Frau die den Weg vom Opfer zur selbstbestimmten Frau gegangen ist.

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