Kunterbunt

Die Rosarote Brille – Über das Warten

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Warten. Unangenehme Sache. Manch einer kann das, dieses Warten. Ich zum Beispiel, aber das liegt daran, dass ich ein geduldiger Mensch bin. Eigentlich wartet man zusammengefasst bestimmt sein halbes Leben. Auf irgendwas, auf die Pizza, den Bon aus dem Pfandautomaten, auf Grün an der Ampel oder einfach nur auf sich selbst. Warten, das hat auch etwas romantisches. So als würde die Zeit still stehen oder zumindest sehr, sehr langsam voranschreiten. Je nach Konstellation kann Warten schön sein oder entspannend, es kann aber auch nervtötend sein und an Folter erinnern.

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Hormonwolken im Wartezimmer

Wenn ich warten muss lasse ich meine Gedanken kreisen. Ich beobachte meine Umgebung.

Kürzlich zum Beispiel saß ich in einem Wartezimmer einer gynäkologischen Praxis. Abgesehen davon, dass die Luft förmlich vibrierte vor Hormonen, habe ich darüber nachgedacht ob die Dame mir direkt gegenüber bei Douglas ungünstig ins Regal gefallen ist. Ihr Make-Up oder besser Ihre Maske war gewöhnungsbedürftig. Grelle Farben, dicke Balken die wohl Augenbrauen darstellen sollten und dazu die Lippen aufgepumpt wie ein Schlauchboot. Mir ist grundsätzlich egal wie jemand rumläuft, ich sinnierte eher ob mir dieses grelle Grün stehen würde und wo genau ich das hinschmieren könnte. Diesen Gedanken verwarf ich dann aber, schließlich hatte ihr Lidschatten Glitzer und Glitzer geht gar nicht.

Nun denn, daneben saß eine schwangere Dame mit ihrer männlichen Begleitung. Er wirkte etwas verschreckt, fast schon ängstlich. Gut, mit 8 Frauen – davon zwei schwanger – in einem Wartezimmer bei einem Frauenarzt zu sitzen, ist wahrscheinlich nicht unbedingt Nummer 1 auf der Wunschliste der Warteorte. Er war stark beschäftigt bloß keine von uns anzusehen und seine Freundin nur ganz kurz. Ich nehme an, dass die zwei ein Paar sind, denn die Art wie er immer wieder das Displays ihres Handys mit den Worten „Guck mal Schatz wie süß!“ vor der Nase hatte, lässt keinen anderen Schluss zu.

Die andere schwangere Dame rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ich dachte zunächst an Beckenbodentraining, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Angesichts der Tatsache, dass sie olympiareif aufsprang als die Toilette frei wurde, hat wohl der zuckersüße Nachwuchs gut auf der Blase gelegen. Ich persönlich mag keine Kinder, finde sie auch nicht „Süß“, weshalb ich innerlich die Augen verdrehte als ein Kinderwagen auf der Bildfläche auftauchte und ein Raunen durch das Wartezimmer ging. „Hach ja, wie alt ist der kleine Fratz denn?“ Ich denke: Das interessiert doch nun niemanden. „Nein, ist der niiiiiiiiiiedlich!“ Ich denke: Genau: Nein! Die Dame deren Nachwuchs ihre Blase bequem findet kommt nun zurück ins Wartezimmer. Aus sicherer Entfernung schaut sie auf das bereits geborene Kind und hält sich den Bauch. Wahrscheinlich denkt sie sowas wie: „Ach guck, so sieht es aus wenn es rauskommt“.

Ich versuche die Hormone in der Luft auszumachen, diese kleinen, miesen Dinger die nicht schwangere Frauen dazu verleiten quiekend kleine Babys anzusabbern. Dabei bin ich ganz still, ich könnte ja meine biologische Uhr überhören. Es tut sich aber nichts. Kein Tick-Tock, keine sichtbaren Hormone. Irgendwie habe ich das Gefühl die Zeit steht still, wahrscheinlich starrt sie auch gerade den Säugling an und verliert sich in verträumten Blicken. Als ich aufgerufen werde, hat das Warten ein Ende und ausnahmsweise bin ich darüber froh.

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Erwachsener Hausarrest

Früher als Kind war Hausarrest etwas ganz schlimmes. Heute als Erwachsener tut man sich dasselbe an, man nennt es nur anders: Ihr Paket wird heute zugestellt. Gelobt sei an dieser Stelle die Erfindung der Sendungsverfolgung und richtig gefeiert sei sie, wenn sie auch wirklich funktioniert. Ein Paket zu erwarten ist eine wunderbare Möglichkeit endlich mal wieder die ganzen Dinge zu erledigen, die man sonst nicht erledigt. Man hat ja so oder so Hausarrest bis der Paketbote dann da ist. Diese Art des Wartens mag ich eigentlich gern.

Wenn ich ein Paket erwarte checke ich zunächst wie ich ungefähr warten muss. Kommt es mit DHL habe ich bis Mittags Hausarrest. Bei DPD muss ich früh alltagstauglich aussehen. Mit Hermes ist der ganze Tag im Eimer. Via Amazon kann ich über die App spionieren wo genau mein Paket gerade ist. Schnell wird kalkuliert wieviele Maschinen Wäsche ich anstellen kann bis es soweit ist. Schnell mal gucken ob die Lebensmittel bis zur Ankunft des Paketes ausreichen und mit aller Kraft versuchen nicht auf der Couch einzunicken während ich „mal kurz“ die Fernsehkanäle durchzappe. Müll rausbringen? Zu großes Risiko. Bei meinem Glück klingelt genau dann der Paketmensch und ich bin am Mülleimer. Duschen? Auf gar keinen Fall! Genau dann, wenn das Shampoo zur kunstvollen Punkfrisur geformt ist, wird es klingeln. Und wer hat dann den ganzen Schaum nebst Duschwasser im Bad, der Wohnung und dem Hausflur verteilt? Richtig: Du!

Meistens vertreibe ich mir die Zeit mit Lesen. Oder Aufräumen. Das geht ja immer. Also wartet man auf das Paket und stellt abends entnervt fest: Im Briefkasten ist eine Karte, weil man angeblich nicht da war als der Paketmensch da war. Oder man findet sein Paket im Busch vor  dem Haus, weil der Amazonbote es gebracht hat, aber die Klingel für ihn offensichtlich nicht zu bedienen ist. Gut, in der App steht dann „zugestellt“ aber an wen oder wo, das musst du schon selbst herausfinden.Wo bleibt denn sonst der ganze Spaß? Der DHL Bote ist irgendwie so wie meine Mutter früher. Wenn sie dann meinte der Hausarrest wäre vorbei und ich mich gefreut habe. So fühlt es sich an, wenn ich das Paket im Arm habe und weiss: Ich darf jetzt wieder raus.

Warten, nur auf was?

Warten ein kleines Wort für so viele Dinge. Manch einer wartet ein Leben lang auf etwas oder jemanden. Andere können einfach nicht warten und sind die pure Ungeduld. Manchmal dauert warten lange und manchmal wartet man eigentlich gar nicht, weil die Zeit dazwischen spannender ist, als das worauf man wartet. Warten ist immer so negativ besetzt, so als wäre es schlecht auf etwas zu warten. Dabei heisst warten doch, dass etwas kommt oder man jemanden sieht. Das ist doch eigentlich schön.

Denn während man wartet, kann man ja seine Gedanken kreisen lassen, einfach mal in der Gegend rumgucken oder den Keller aufräumen. Man kann sich freuen auf etwas, kann stricken lernen oder endlich mal wieder Sport machen. Warten ist nicht grundsätzlich schlecht, Manchmal ist es sogar gut. Wenn man wartet bis der Tee nicht mehr so heiß ist, schmeckt man auch etwas von ihm. Wenn man wartet bis die Flugpreise runtergehen, entdeckt man vielleicht ganz andere, spannende Ziele. Und manchmal lernt man sich selbst kennen, während man wartet.

Über die Autorin

Die Stehauffrau bloggt über das Leben nach toxischen Beziehungen, die schönen Dinge des Lebens und den Weg dorthin. Stehauffrau steht für eine Frau die den Weg vom Opfer zur selbstbestimmten Frau gegangen ist.

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