Seelenhaus

Was bringt eine Strafanzeige?

Die meisten Menschen die psychische und/oder physische Gewalt in der Familie, Partnerschaft, am Arbeitsplatz oder überall dort wo sie passiert, erlebt haben, stehen irgendwann vor der Frage:

Soll ich ihn/sie anzeigen?

Aus meiner Sicht gibt es dazu keine pauschale Antwort. Genauso wenig wie die Gewalt pauschal betrachtet werden kann. Es ist immer eine Frage mit vielen Abwägungen und vor allem muss klar sein, was danach passiert. Viele von uns schaffen diesen Weg einfach nicht.

Stigmatisierung, Angst

Leider ist es heute noch so, dass man als Frau häufig noch argwöhnisch betrachtet wird beim Erstatten einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt und/oder Sexualdelikten. Männer dürften es hier noch schwieriger haben, da sie wohl als „schwach“ betrachtet werden wenn sie zugeben was ihnen passiert. Ich kann hier nur aus meiner Erfahrung sprechen und nicht für die Männer, solltest du einer sein und Erfahrungen dahingehend gemacht haben: Bitte melde dich mit deiner Geschichte, auch anonym – Briefkasten.

Als ich, nach langer Beratung und dem Abwägen der Für und Wider Punkte mit dem Frauenhaus-Team, Anzeige erstattet habe, hatte ich Glück. Der Kripobeamte der mich vernommen hat, hatte Erfahrungen in diesem Bereich. Er war vorbereitet auf das, was ich sagen könnte. An die Vernehmung selber kann ich mich nur wie durch Watte erinnern, da ich zu diesem Zeitpunkt noch im Schockzustand war. Vielleicht war das auch ganz gut, ich hatte keinen Raum zum Überlegen. Denn das ist der Knackpunkt: Du bist als Opfer häuslicher Gewalt daran gewohnt deine Entscheidungen in Frage zu stellen, wenn du überhaupt welche triffst. Du bist es gewohnt dass du bestraft wirst und du bist es gewohnt, dass dir kein Gehör geschenkt wird. Hier kann ein geschulter Beamter / eine geschulte Beamtin sehr dazu beitragen, dass du die Dinge zur Sprache bringst. Ich hatte vorher bereits eine Strafanzeige gestellt und diese unter Druck zurückgezogen, sie war aber zu meinem Glück noch in den Unterlagen und auch das vermeintlich von mir verfasste Schreiben.

Mit Anzeigenerstattung beginnt der Stein allerdings zu rollen. Und darüber sollte mehr als ein Wort verloren werden.

Retraumatisierung

Sofern die Anzeige überhaupt zu einem Verfahren führt, beginnt mit der Prozessvorbereitung für uns als Opfer die Retraumatisierung. So habe ich es empfunden. Ich wurde allerdings mit allen möglichen Beschuldigungen beworfen: Von angeblicher Suizidalität, über psychische Erkrankungen bis hin zu Alkohol- und Tablettenmissbrauch. Alles Anschuldigungen die ich widerlegen konnte, durch Fakten. Aber allein das Widerlegen ist ein weiterer Kampf. Auch das erneute Aussagen und hier im speziellen das Aussagen der Details ruft die Erinnerung wach und damit auch die Retraumatisierung. Ich hatte vor, während und nach den jeweiligen Prozesstagen mit PTBS Symptomen zu kämpfen, weil die Flashbacks, die Erinnerungen dann auch noch seine Präsenz im Gerichtssaal alles wieder wachgerufen haben. Glücklicherweise hatte ich eine Therapeutin an meiner Seite, die mir hier sehr helfen konnte und stets den entsprechenden Schutz vor und im Saal. Ich war nie allein mit all dem und das war für mich ein großes Glück. Es gibt die Möglichkeit über das Frauenhaus vor Ort, den Weißen Ring und auch die Polizei entsprechenden Schutz und Begleitung zu erhalten. Nehmt das in Anspruch, auch wenn ihr glaubt ihr schafft es allein.

Victimblaming

Im Prozess selber wird der Anwalt des Angeklagten mitunter sehr aggressive und intime Fragen stellen. In meinem Fall wurde mein ganzes vorheriges Leben durch den Dreck gezogen, mir wurden alle möglichen Dinge schlicht unterstellt um meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Eine bekannte und vor allem kalkulierbare Taktik von Narzissten. Da ich mir im Laufe des Prozesses bereits darüber im Klaren war, was er ist, konnte ich entsprechend reagieren. Dem Verteidiger ging es darum meine Person unglaubwürdig und rachsüchtig erscheinen zu lassen. Aber Karma schlägt eben doch manchmal zurück. Neben diversen falschen Aussagen seines Mandanten und einiger Fragen die eindeutig nichts mit den angeklagten Taten zu tun hatten, hatte der Verteidiger Fahrt verloren. In meinem Fall wurde versucht durch mehrmaliges Wiederholen von Fragen eine Antwort zu erzwingen. Es ist jedoch mein Recht auf bestimmte Fragen nicht zu antworten, das habe ich in Anspruch genommen. Es ist wirklich zermürbend fünf, sechs Mal dieselbe Fragen zu hören und immer wieder „Darauf antworte ich nicht“ zu antworten. Alles Taktik und die muss man durchschauen.

Ich hatte einige Prozesstage und habe erst in den letzten Sitzungen überhaupt einen Blick auf den Angeklagten geworfen, seine Mimik und Gestik beobachtet. Es hätte mich wütend machen können zu sehen wie er süffisant, still lächelte und den Kopf schüttelte, wie er versuchte mich durch Anstarren aus der Ruhe zu bringen. Ja, das hätte mich wütend machen können. Aber an diesem Punkt war ich schon zu weit von ihm entfernt. Die Masken waren gefallen. Es hatte etwas Trauriges, dieser verzweifelte Versuch mich nonverbal einzuschüchtern, fast schon grotesk. Aber auch das ist Victimblaming und nichts anderes. Opferschutz ist zwar ein großes Wort, wird aber häufig noch klein geschrieben. Natürlich ist Sinn und Zweck eines Prozesses unter Abwägung aller vorliegenden Beweismittel und der Aussagen einen Sachverhalt zu ergründen und darauf basierend ein Urteil zu fällen. Und ja, der Angeklagte gilt bis zum rechtskräftigen Urteil als unschuldig. Aber was ist mit den Opfern? Was ist mit uns? Ist es wirklich im Sinne der Rechtsstaatlichkeit mich als Opfer zu fragen ob ich 1 1/2 Jahre nach der letzten Tat einen Partner habe? Ist es zielführend mir vorzuwerfen dass ich ein schlechtes Verhältnis mit meiner Mutter hatte? Kann es tatsächlich den Sachverhalt aufklären wenn gefragt wird ob ich beim Sex Schmerzen habe? Ich denke nicht. Und doch passiert es.

Kraft, Mut und Stärke

Das ist es was du brauchst: Kraft durchzuhalten, den Mut es durchzustehen und die Stärke es bis zum Ende auszufechten. Häufig geht es nicht um das Urteil, es geht darum es auszusprechen. Damit der Täter als Täter entlarvt wird. Häufig verlieren sie dann doch im Gerichtssaal die Fassung oder die Maske fällt. Das habe ich auch erlebt. Aber bitte vergiss nicht: Du warst ein Opfer, du wurdest gedemütigt und entwertet, du hast Gewalt ertragen, hast das alles über dich ergehen lassen. Und das ist nicht deine Schuld, das war nicht deine Entscheidung. Derjenige, der die Schuld daran trägt, ganz allein, ist der jeweilige Täter. Und die wird er auch nicht los.

Lass dich nicht blenden von Ermittlern, die von einer Einstellung ausgehen und dementsprechend schon während der Anzeigenaufnahme die Fragen so stellen, dass du als Opfer ins schlechte Licht gerückt wirst. Lass dir nicht einreden, du hättest eine Mitschuld oder du würdest den Beklagten zu Unrecht bezichtigen. Das passiert zu oft, zu massiv. Es mag Frauen geben die aus Rache solche Anzeigen stellen, ja. Aber dieser geringe Anteil kann nicht dazu führen, dass wir als Opfer einen Spießrutenlauf erleben müssen weil der Täter behauptet er wäre das „Opfer einer rachsüchtigen Frau“. Auch das wurde in meinem Fall versucht, aber hier konnte meine Anwältin sehr schnell den Wind aus den Segeln nehmen.

Wenn du überlegst eine Anzeige zu erstatten suche dir eine Anwältin / einen Anwalt der Erfahrung mit solchen Delikten hat. Am besten fragst du beim Weißen Ring an, den Frauenhäusern oder den Frauenberatungsstellen. Denn diesen Weg solltes du nicht allein gehen.

 

Über die Autorin

Die Stehauffrau bloggt über das Leben nach toxischen Beziehungen, die schönen Dinge des Lebens und den Weg dorthin. Stehauffrau steht für eine Frau die den Weg vom Opfer zur selbstbestimmten Frau gegangen ist.

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